17. September 2024
Am Wochenende war ich auf der Rückfahrt von einem Retreat. Schlafmangel und Erschöpfung nach einer schönen, aber intensiven Woche lagen hinter mir, und ich freute mich auf eine gemütliche Tasse Tee zuhause.
Der Haken: Mein Mitfahrer war nicht nur sehr diskussionsfreudig, sondern hatte bei all unseren Gesprächen komplett andere Ansichten als ich. Teilweise so stark, dass ich emotional aufgewühlt war. Ich fand mich in einer Situation wieder, aus der ich am liebsten ausgebrochen wäre. Im Büro hätte ich mich in Aufgaben gestürzt, auf einer Party hätte ich mir einfach andere Gesprächspartner gesucht. Aber jetzt lagen noch 6 Stunden Fahrt vor uns – ein Ausbrechen war nicht möglich.
Im ersten Moment dachte ich: Warum passiert das ausgerechnet mir? Wieso kann es nicht einfach eine entspannte Fahrt sein?
Vielleicht kennst du das ja auch. Wenn es in zwischenmenschlichen Beziehungen unangenehm wird, neigen wir oft dazu auszubrechen (Flight). Wir entziehen uns der Situation, um Konflikte zu vermeiden. In meinem Fall hätte das so aussehen können, die ganze Fahrt zu schweigen und mich innerlich darüber zu ärgern. Weit über die Fahrt hinaus. Oder meinen Mitfahrer scharf zu verurteilen (Judging). Manchmal gehen wir sogar so weit, bei Meinungsverschiedenheiten den Kontakt zu Freund*innen abzubrechen, um Konflikte zu umgehen (Avoidance). Ghosting, Cancel Culture – das alles sind extreme Ausprägungen davon, wie wir aus Beziehungen flüchten, wenn es schwierig wird.
Doch dann begann ich, meine Gedanken zu reflektieren und stellte mir andere Fragen:
– Welche Chance liegt in dieser Situation?
– Warum ist es mir so wichtig, dass mein Mitfahrer dieselbe Meinung teilt wie ich?
– Wie kann ich lernen, Meinungsverschiedenheiten besser auszuhalten?
Ich änderte meine Sichtweise auf die Situation. Anstatt zu flüchten oder mich zu verschließen, blieb ich bei meiner Meinung, akzeptierte aber gleichzeitig die Sichtweise meines Mitfahrers – ohne zu verurteilen. Das war der Schlüssel, um unsere Beziehung zueinander nicht zu verschlechtern und die Situation für mich zu entschärfen.
Am Ende der Fahrt wurde mir klar: Es ging nicht darum, wer „recht“ hatte oder wessen Perspektive die „richtige“ war.
Es ging darum, die Fähigkeit zu entwickeln, Unterschiede stehen zu lassen, ohne sie sofort in Konflikte zu verwandeln. Meinungsverschiedenheiten sind nicht das Problem – vielmehr ist es die Art, wie wir damit umgehen. Indem ich offen blieb und mich nicht ins „Entweder-Oder“-Denken hineinziehen ließ, konnte ich viel über mich selbst lernen: Über mein Bedürfnis nach Harmonie und meine Tendenz, Konflikte zu vermeiden, nur um nicht aufgewühlt zu sein. Aber auch darüber, wie befreiend es ist, andere Meinungen zu akzeptieren, ohne sie als Angriff auf die eigene Person zu werten.
Diese Erfahrung hat mir gezeigt: Oft verpassen wir echte Verbindungen, weil wir zu schnell in „richtig“ und „falsch“ denken.
Manchmal liegt der Weg zur inneren Ruhe nicht im Ausweichen oder Vermeiden, sondern im Aushalten. Im bewussten Dasein in einem Moment der Spannung, ohne sofort fliehen zu wollen. Diese Fahrt war für mich eine Einladung, genau das zu üben.
Vielleicht ist es auch für dich eine kleine Erinnerung, bei der nächsten Meinungsverschiedenheit innezuhalten und dich zu fragen: Was wäre, wenn ich nicht fliehe, sondern einfach bleibe?
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Kategorien:
Allgemein, Coaching, Achtsamkeit